Kaum sind die ersten Lockerungen in Kraft, dreht sich die Welt schneller und Entscheidungen drängen wieder. Scheinbar. So zumindest fühlt es sich für mich an. Ich möchte bewusst dagegen steuern und weiterhin aus dem Rhythmus der Ruhe leben. Weil mir dieser Rhythmus mehr Leben verspricht.
Schon vor Corona in meinem Ruhejahr 2019 hat mich der Rhythmus der Ruhe um den Finger gewickelt. Ganz leise und sanft, unaufdringlich aber unmissverständlich.
Die Natur und unser Wesen ist verwurzelt in Rhythmen, die sich entgegenwirken, die Ausgleich schaffen: Sommer und Winter, Tag und Nacht, Ruhetag und Arbeitstag, einatmen und ausatmen, säen und ernten.
Als Frauen durchleben wir zudem jeden Monat den Rhythmus des Zyklus, empfangen und lassen los.
Nun haben wir uns eine Welt geschaffen, die uns weitgehend aus diesen Rhythmen löst. Wir können die Nacht zum Tag machen, kaufen im Laden jede Frucht zu jeder Jahreszeit ein oder holen sie aus dem Tiefkühler, arbeiten rund um die Uhr, reisen im Winter an warme Strände oder heizen unsere Wohnungen und kontrollieren dank Hormonen die Unberechenbarkeit des weiblichen Zyklus. Umso bewusster braucht es unsere Entscheidung und Disziplin, wenn wir daran glauben, dass wir als Menschen in der Tiefe unseres Wesens auf diese Rhythmen ausgelegt sind, auf das Wechselspiel von ruhen und erschaffen, von geben und nehmen, von warten und gehen, von wachen und schlafen, von halten und loslassen, von weinen und lachen, von feiern und trauern.
Ich glaube ganz dringend, dass wir diese Wechselspiele brauchen, um fruchtbar und erfüllt zu leben. Sie erinnern mich daran, dass ich in etwas Grösseres hineingestellt bin, das ich nicht beherrsche, und dem ich mich vertrauensvoll hingeben kann. Dass nicht allein meine Leistung zum Ziel führt, sondern auch mein Loslassen. Dass ich nicht nur unabhängig bin, sondern auch abhängig.
Sie befreien mich aus einer Illusion, die mir glauben macht, dass ich alles im Griff habe. Sie erinnern mich daran, dass Gegensätze nicht Widersprüche sind.
Und folglich machen sie mich gelassen, schenken Leichtigkeit, befreien mich aus Unwichtigkeiten und schaffen Raum in meinem Leben für die Liebe, für Hoffnung und für echtes Leben. Also möchte ich bewusst Rhythmen schaffen, in denen ich Ausgleich finde. Schritt für Schritt. Hier einige Ideen, die ich in meinem Alltag versuche zu festigen:
Einatmen und Ausatmen
Unser Atemrhythmus hat unglaubliche Kraft: Er versorgt gewisse Hirnfunktionen mit Sauerstoff und stimuliert das parasympathische Nervensystem, das uns in einen Zustand der Entspannung führt (vgl. zum Beispiel Dr. Caroline Leaf). Sobald ich gestresst, ängstlich oder müde werde, versuche ich mir Zeit zu nehmen für eine kurze Atem-Meditation, in welcher ich tief ein- und ausatme. Bis ich mich entspannen kann und sich meine Gedanken klären.
Diese unglaubliche Kraft der Atmung habe ich bei meinen Geburten erlebt. Ich habe meine Kinder sozusagen durch meinen Atem geboren, ohne Schmerzen und Qualen. Aber dazu erzähle ich in den kommenden Wochen mehr. Und es macht umso mehr Sinn, dass die Bibel beschreibt, wie Gott uns das Leben "durch seinen Atem" einhaucht (1. Mose 2,7). Atem ist pure Lebenskraft.
Tag und Nacht
Daran scheitere ich noch regelmässig: Ich möchte künstliches Licht und meinen Medienkonsum ab dem Abendessen reduzieren und meinen Körper bewusst in die Ruhephase entlassen. Dafür habe ich mir einen Wecker zugelegt, so dass ich mein Handy abends ausschalten und in der Küche lassen kann und erst morgens wieder anschalte, nach dem Aufstehen statt unter den Federn.
Ruhetag und Arbeitstag
Wenn Gott nach sechs Tagen des Schaffens einen Tag Ruhe einlegt, diesen Tag als "heilig" beschreibt und ihn sogar segnet, wie er die Menschen und die Tiere mit Fruchtbarkeit segnet, dann gelange ich zur Überzeugung, dass auch ich diesen siebten, heiligen, ruhenden Tag brauche. Ich habe angefangen, meine Arbeit, Medien und Termine stillzulegen von Samstag Abend bis Sonntag Abend. Es gelingt mir nicht immer, aber immer öfter. Und ich stelle mich dabei nicht unter Zwang, denn "der Sabbat ist für den Mensch geschaffen, nicht der Mensch für den Sabbat" (Markus 2,27).
Weiblicher Zyklus
Durchschnittlich über 28 Tage erstreckt sich mein Zyklus und durchläuft vom ersten Tag der Periode die Phase der Menstruation, dann des Wiederaufbaus der Gebärmutterschleimhäute bis zum Eisprung, auf welchen meine fruchtbarsten Tage folgen und ohne Befruchtung wiederum die Menstruation auslösen. Das ist nicht einfach ein körperlicher Prozess, sondern auch eine seelische und geistige Bewegung. Die Tage vor der Menstruation, wenn mein Körper realisiert, dass kein Ei befruchtet und eingenistet ist, ziehen mich oft in einen seelisch bedrückten Zustand. Wenn die Blutung einsetzt, ertappte ich mich oft beim Gedanken: "Ach so! Das erklärt meine Stimmung der letzten Tage!" Seit ich meinen Zyklus bewusster verfolge, "feiere" ich die Menstruation als eine Zeit des Loslassens, in welcher ich mich körperlich und seelisch bewusst schone und auch geistig versuche, mich göttlichem Trost hinzugeben, loszulassen. Ich merke, wie meine Lebenskraft einige Tage später zurück kommt und während des Eisprungs oft besonders stark ist, dass ich dann kreativ und leistungsfähig bin und am liebsten dann meine Termine und Treffen und Brainstormings plane.
Ich lasse mich bewusst auf diesen Zyklus ein und schätze ihn als einen stärkenden Ausgleich, in den ich mit guten Gedanken hineingestellt bin.
Da ich im Moment schwanger bin, vermisse ich fast meinen Zyklus. Ich freue mich jetzt schon darauf, ihn wieder bewusst durchleben zu können.
Feiern und Trauern
Ich sitze gerade in einer Auszeit, nur ich allein für vier Tage in einer Ferienwohnung von Freunden, um vor der Geburt unseres dritten Kindes nochmals durchzuatmen. Die letzten Wochen waren intensiv. Deshalb wusste ich, dass ich Zeit brauchen werden, um zu verarbeiten, um zu fühlen, nochmals zu durchleben, was schwierig, verunsichernd und überfordernd war, ohne dass ich es zeitlich und emotional hätte verarbeiten können. Ich rechnete also damit, dass ich den ersten Tag ziemlich deprimiert und traurig sein würde, und habe das bewusst zugelassen. Ich trauerte, meckerte, bemitleidete mich selbst. Einen Tag lang. Im Gegensatz dazu schaffe ich auch bewusster Raum, um zu feiern! Wer entscheidet, wann es Zeit ist für ein Fest in meinem Leben? ICH entscheide! Ich möchte Feste feiern, tanzen und gut essen und die Fülle meines Lebens dankbar erkennen und mit anderen teilen. Auch deshalb nehme ich mir das Vorrecht, vier Tage allein Ferien zu machen. Ich plane ein Geburtsfest für unser drittes Kind und ein Fest zum 10. Hochzeitstag. Einen Tag lang.
Davon muss ich jetzt nur noch meinen Mann überzeugen.
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