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"DIE BEZIEHUNG ZU MEINER TOCHTER IST EIN ABENTEUER"

Heute darf ich die Feder in andere Hände legen: Fülke Wagner schreibt für soeur+coeur von ihrer Beziehungen zu ihrer Tochter. Was, wenn die Beziehung zum eigenen Kind kein Selbstläufer ist, sondern bewusste Entscheidungen fordert? Danke Fülke für diesen mutigen Text, für den Einblick in eure inspirierende Familie und dafür, dass du dich auf die Abenteuer des Lebens einlässt.






Fülke Wagner ist seit 14 Jahren verheiratet, hat zwei Kinder, Tätowierungen und Piercings, jedes Jahr mindestens zwei konträre und gerne farbige Frisuren und handelt gerne grün. Sie leitet eine christliche Gemeinde (Vineyard Köln) und schreibt für uns über ihre Beziehung zu Tochter Lina:



Seit einigen Jahren begegnet mir der Slogan „Sei Pippi, nicht Annika“. Auf Wände gesprüht, auf T-Shirts, ja sogar auf einem Frühstücksbrett sprang mich dieser Spruch schon an.Und jedes Mal fühle ich mich erneut angegriffen. Denn ich bin eine Annika. Ich bin es schon immer gewesen und auch, wenn ich mir manchmal wünsche eine Pippi zu sein, und auch eher wie eine Pippi aussehe, so werde ich vermutlich innerlich immer eine Annika bleiben. Meine Tochter ist aber sehr wohl eine Pippi, die mein Leben als Annika gehörig auf den Kopf stellt.

Sie ist unser zweites Kind, nach einem Jungen. Er ist groß und sie ist klein. Er ist ruhig, sie ist wild. Er ist introvertiert, sie extrovertiert. Er überschlägt vorher alle Eventualitäten, sie macht einfach drauf los. Gefühlt befinden sich unsere Kinder an den entgegengesetzten Enden eines Spektrums.


Mein Sohn ist mir ähnlich. Nicht nur optisch, sondern auch vom Wesen her. Wir verstehen uns ohne Worte. Er ist ein Grübler, ein Denker, vorsichtig und sanft. Unser Zusammenleben ist daher von Ruhe geprägt. Meine Tochter dagegen ist in jeder Hinsicht das Gegenteil von mir und fordert mich deshalb sehr heraus. Ihr Tempo ist schneller als meines. Ihre Lautstärke schmerzt manchmal physisch und für meinen Geschmack bringt sie sich permanent in Gefahr und hält mich damit in Atem! Ich habe das Gefühl, sie keine Sekunde aus den Augen lassen zu können, weil sonst wieder etwas passiert.


Obwohl es immer mein Ziel war, dass unsere Kinder sich frei entfalten können, musste ich mir eingestehen, dass ich meine Tochter immer stärker kontrolliert habe, um ihr Verhalten und ihr Wesen meinem Tempo anzupassen.

„Mach das nicht…fass das nicht an…steig da nicht hoch…sei leiser…spring nicht zu doll…“ Ohne es zu wollen, haben sich bei mir Verhaltensmuster eingeschlichen, die unserer Beziehung und auch der Entwicklung meiner Tochter nicht gut tun. Schliesslich bestimmte uns von morgens bis abends eine Atmosphäre, die von Machtkämpfen und Frustration geprägt war!

Frustration baut Distanz auf. Es tat weh zu sehen, dass meine Tochter lieber Zeit mit Papa verbringt, als mit mir. Gleichzeitig war mein Herz ihr gegenüber auch hart und ich habe aus Überforderung Mauern aufgebaut, ohne es zu wollen.

Da musste sich etwas ändern – ICH musste mich verändern!

Oder mich verändern lassen. Und so habe ich mich auf eine Reise begeben, die vermutlich länger anhalten wird: das Abenteuer, meine Tochter kennenzulernen. Sie so wahrzunehmen, wie sie ist, nicht wie ich sie gerne hätte. Und vor allem, sie in ihrem Sein wertzuschätzen und anzunehmen. In ihrer unbändigen Wildheit, mit ihrem dicken Sturkopf, mit ihrem Mut, für sich selbst einzustehen, mit ihrer Lust auf Abenteuer und Herzklopfen.Wenn ich mich wirklich auf sie einlasse, kann ich so viel lernen. Und vor allem kann ich lernen, Linas Lieblingssatz anzunehmen: „Ist ein bisschen egal, Mama!“

Und sie hat ja Recht! Es ist doch egal, wenn es regnet. Man kann auch im Regen auf dem Balkon baden oder durch Pfützen robben. Es ist egal, wenn man an einem heißen Sonntag im Schlafanzug mit Gummistiefeln in den Gottesdienst geht. Es ist egal, wenn das Gesicht mit Edding für mehrere Tage tätowiert ist. Die Wendeltreppe ist nicht einfach nur eine Treppe, sie ist ein Klettergerüst und Sportgerät. Schrammen, Hämatome, blutige Knie? Egal! Wir haben doch Pflaster. Das Bad ist geflutet, weil eine Madame zu wild am Waschbecken gespielt hat? Egal! Wir haben einen Wischmopp.

Ich möchte mich mit meiner Tochter auf eine Abenteuerreise begeben, so wie Annika es mit Pippi getan hat.

Sie war dabei immer noch Annika. Sie war immer noch die Bedenkenträgerin, die Ruhige, die Ängstliche, aber sie hat Abenteuer erlebt, weil sie sich auf Pippi eingelassen hat und war am Ende immer ein wenig mutiger. Und ich erlebe Abenteuer, weil ich mich auf meine Lina einlasse. Ich entdecke neue Seiten an mir durch Herausforderungen, die mich aber wachsen lassen.

Wir dürfen miteinander und voneinander lernen. Wir dürfen einander ergänzen. Und wir dürfen sein, wer wir sind.

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